«Am Bäckereien-Sterben sind die Bäcker selber schuld!»
Er hat sein Gipfeliimperium verloren und mit 60 Jahren nochmals neu angefangen. Über seine Nachfolge macht sich der 75-jährige Fredy Hiestand keine Gedanken. Er will noch über 25 Jahre leben. Für Bäckereien, die in Konkurs gehen, zeigt er kein Bedauern.
Das Brot seiner Jugend gab es nur an Wochenenden im Winter. Seine Eltern backten es im Holzofen des Zürcher Oberländer Dorfes Hittnau. Es enthielt viele Kartoffeln und war lange haltbar. Buttergipfel kannte Gipfelikönig Fredy Hiestand in seiner Kindheit auf dem Bauernhof nicht. Diejenigen, die er später in seiner Bäckerlehre kennenlernte, seien bereits am Mittag trocken gewesen, erzählt Hiestand, als er BLICK in seinem Haus in Geroldswil ZH empfängt.
Schon mit seiner ersten Bäckerei, als 24-Jähriger, wollte er bessere Gipfeli herstellen und bald auch produktiver sein als andere. Der heute 75-Jährige berichtet, wie er die ersten Gipfeli mit richtiger Butter – und nicht mit Margarine wie damals die Pariser Croissants – zum Erfolg brachte. Wie er in Gipfelimaschinen investierte und ihm als erster Bäcker hierzulande die Massenproduktion gelang.
Im Gespräch bellt Hiestands einjähriger Beagle Fendi, tänzelt um seinen Herrn herum, will neben ihm Platz nehmen – und vor allem hat er es auf die Gipfeli von Fredy’s abgesehen. Mit dem Bäckereiunternehmen «Fredy’s» mit Sitz in Baden AG hat Hiestand sich 2003 nochmals neu erfunden. Der Patron steht dem Jungtier an Lebendigkeit in nichts nach. «Ich habe beschlossen, 102 Jahre alt zu werden», sagt er mit einem zufriedenen Lachen.
Pestizidfrei angebaute Gipfeli werden nicht teurer
Für sein nächstes Projekt ist er Feuer und Flamme. «Für die nächste Ernte bauen wir nur noch Getreide ohne Pestizide an», erklärt er. Es sei sehr aufwendig und kostspielig, alle Lieferanten umzustellen. «Aber die Gipfeli werden kaum teurer», betont er.
Den Börsengang seiner Firma Hiestand auf dem Höhepunkt seines Gipfelimperiums 1997 sieht er heute als Fehler. «Ich weiss nicht mehr, wieso ich mich davon überzeugen liess», sagt er mit Bedauern. Er sei damals im Verwaltungsrat zwar noch als Patron erwünscht gewesen, aber Einfluss auf sein Lebenswerk konnte er nicht mehr ausüben.
Das Management sagte ihm ausserdem, dass es sich für einen CEO nicht gehöre, in die Produktionshallen zu gehen. Im Jahr 2002 verliess er die Grossbäckerei unfreiwillig. Er musste für einmal hartes Brot essen. Und das, nachdem er über die Jahre immer wieder als Pionier gefeiert wurde.
Immer noch ein «Schreck» der anderen Bäcker
Allerdings galt Hiestand früher mit seinen Bäckereimaschinen und auch der Erfindung der vorgegarten Teiglinge als «Schrecken» der Bäcker. Noch heute zeigt er mit der Branche wenig Mitleid: «Am Bäckereiensterben sind die Bäcker selber schuld!»
Der Traditionsbeck Keller aus Regensdorf ZH, der diesen Sommer in Konkurs ging, war für ihn eine Bäckerei, die sich zu wenig positioniert hat. «Solche Bäckereien haben heute keine Daseinsberechtigung mehr», findet er. Sagts und schneidet durch eines seiner neuen Produkte. Ein glutenfreier, luftig-feuchter Schoggimuffin, dem Fendi innert Kürze nachstellt. Hiestand gibt dem Hund einen Bissen. Rechnet er mit einem anhaltenden Bäckereiensterben? Angesichts der Expansion der grossen Bäckereienplayer meint er: «Es gibt bald gar nichts mehr zu konsolidieren.»
Involviert in seine neusten Projekte ist seine dritte Frau Tina (54). Sie arbeitete bei Hiestand, als sie sich kennenlernten – und hat sein Ausscheiden aus seiner Firma aus der Nähe miterlebt. Heute leitet sie die Bäckerei Fredy dä Beck beim Bahnhof Schlieren. Die Filiale dient auch als Testladen. «Tina weiss als Erste, wie unsere Produkte bei den Kunden ankommen», sagt Fredy Hiestand.
Verlust des «Babys» war schwierig
Die Backwaren von Fredy’s gehen in erster Linie an Hotels und die Gastronomie, aber auch nahezu alle Schweizer Detailhändler gehören zu den Abnehmern. Fredy’s Backwaren unterscheiden sich von anderen in einer weniger industriellen Produktion, sie enthalten hochwertige Weizenkeime und kommen offenbar gut an. Die Firma mit inzwischen 140 Mitarbeitern beliefert auch seine frühere Firma, die mit der irischen Firma IAWS in Aryzta aufging.
Aryzta ist heute ein Trauerspiel, unter dem letzten Management über Übernahmen in aller Welt gewachsen, ständig in Kapitalnot. Der Pionierbäcker hat den Verlust seines «Babys» schlecht verdauen können.
Dennoch hat er sich wieder aufgerafft, ist wieder aufgestiegen. Die heutige Firma wächst mit rund fünf Prozent pro Jahr bescheidener. Wichtig ist ihm, dass seine Produkte den Kunden schmecken und bekömmlich sind, und er genau weiss, woher die Rohstoffe kommen. Gespritzte Pflanzen, die das Wasser verschmutzen und die Biodiversität zerstören, sind ihm ein Gräuel.
Schoggi aus eigener Plantage
Der einstige Bauernbub arbeitet stundenlang im Garten, pflanzt saisonales Gemüse an. Seit vier Jahren betreibt er in der Elfenbeinküste ein biologisches Aufforstprojekt auf 100 Hektaren. Von seinem jüngsten Stolz hat er viele Fotos – von Kakao-, Cashew-, Palmölpflanzen und Moringabäumen. Sein Ziel ist es, dass die Schokolade in seinen Schoggigipfeln dereinst von seinen eigenen Kakaobäumen kommt.
Da er über 100-jährig werden will, verliert er keinen Kopf über seine Nachfolge. Es sehe nicht danach aus, dass eines seiner drei Kinder in seine Fussstapfen treten werde. Er möchte noch möglichst lange an seinem Unternehmen festhalten, sagt Hiestand, und zitiert Nicolas Hayek (1928–2010): «Ein kreativer Kopf muss niemals aufhören zu arbeiten.»
Text und Bild: Blick.ch